oder Kontakt hergestellt – Was hat und braucht das Theater eigentlich von einem jungen Publikum?

von Michael Alexander Müller *

Wenn wir kulturelle Vielfalt vor und auf der Bühne abbilden wollen, rückt in den letzten Jahren immer stärker der Aspekt der Inklusion und Partizipation in den Vordergrund. Vielerorts wird der Anspruch formuliert, Anlässe für Begegnung zu schaffen, offene Prozesse anzugehen. Aber genügen wir diesen gestellten Ansprüchen, Situationen zu schaffen, wo sich Menschen in „Kunstsituationen“ auf Augenhöhe begegnen können?

Am Anfang steht das Wort auf der Bühne. Oder eher am Ende. Wer erteilt eigentlich wem das Wort und mit welchem Anspruch oder welcher Haltung? Gehört das Wort zunächst dem Theater? In welcher Funktion tut es das und mit welcher Erlaubnis? Wir gehen davon aus, dass sich das erzählte Leben mit dem Leben, das wir auf der Bühne erzählen, kreuzt. Welche Kreuzung nochmal genau? Und wie stellen wir sie fest? Wie viele ICH denke ich mit? Wir „maßen“ uns an zu bestimmen, was für Kinder und Jugendliche wichtig ist. Wir behaupten sie zu kennen und zu erfassen, was sie sehen und denken. Wir erkennen aber an den Fragen, dass wir uns im Raum der Spekulation bewegen. Ist ein Stück im Theater gar eine autoritäre Geste gegenüber dem Zuschauer? Wie kann ich aus dem ständigen Agieren heraus zum Zuhören gelangen? Von welcher Position aus spreche und handele ich?

Das Theater muss nicht immer selbst einladen, es kann sich einladen lassen. Möglicherweise erschaffen wir mit Kindern und Jugendlichen einen gemeinsamen Raum des Aushandelns. Auf diesen Raum passen wir gemeinsam auf. Der Raum ist unser Verhandlungsraum. Kinder und Jugendliche nutzen das Theater, wir stellen Experten zur Verfügung. Was bewegt euch, was wollt ihr sagen? Wir müssen nicht gleich da sein, wir können erst einmal lassen. Ist Vermittlung schon ein Teil der Inszenierung? Das Gespräch, was wir gerade miteinander führen, kann schon mal als ästhetische Praxis betrachtet werden. Wir sollten schon in einem System agieren, das alle verstehen. Oder?

Wer wird denn jetzt aktiv und ist das was Schlimmes? Das „Dürfen“ hieße hier womöglich auch das „Müssen“: Wenn wir den Raum schon haben, muss da was passieren: Anforderungen, Erwartungen, Verpflichtungen. Zu schulisch gedacht? Suchen wir nach spielerischen Anlässen zum Austausch und begreifen das Zusammensein als Prozess (mit oder ohne Ergebniszwang).

Augenhöhe entsteht durch Transparenz. Was sind wir als Theater überhaupt für unser Publikum? Zunächst gehören uns die Geschichten. Vielleicht geht es aber um mehr als unsere Worte. Was machen wir mit den sichtbaren Barrieren wie mit dieser seltsam ehrfürchtigen Bühnenkante? Da gibt es im Publikum Leerstellen zwischen Gesagtem und Nichtgesagtem.

Aber wünschen sich die Befragten überhaupt befragt zu werden? Viel Kontakt ist nicht immer die Lösung. Hat die junge Generation dasselbe Interesse an Begegnung wie die Theaterschaffenden oder die Lehrkräfte? Wie ist meine Rolle als erwachsene:r Theatermacher:in?

Fühlen Schüler:innen sich vielleicht überbetreut und mehr als ausreichend repräsentiert? Wollen sie sich überhaupt präsentieren und in den Fokus gezogen werden? Haben sie nicht ganz andere Medien, die sie teilen und in denen sie sich mitteilen? Wir können sie zumindest bitten, aber sollten ihnen nicht das Wort erteilen, das müssten sie schon selber erheben! – Kompliziert, das Ganze.

Möglicherweise ist es zu wenig nur zu sagen: „Wir laden euch ein“. Warum hört die Arbeit oft da auf, wo der Kontakt beginnt? Das Stück ist besucht, der Zuschauer sind entlassen. Selten sind dauerhafte kontinuierliche Begegnungen machbar wie eine Sichtbarmachung von Erfahrungen. Das Ende also weiterhin offen, jedes Theater sucht und definiert seine „guten Formate“, um mit dem Publikum zu arbeiten, so dass beide Seiten von dem Theaterbesuch etwas haben.

Befähigung will gelebt und gelernt werden! Im Theater gibt es Tendenzen zu neuen Modellen und zur kollektiven Autorenschaft. Nutzen wir sie! Wir sollten Experimente mit dem Publikum machen, um herauszufinden, was man gemeinsam will. Nach dem Motto: „Ich verstehe die Situation erst, wenn sie real passiert.“

* Michael Alexander Müller ist Theaterpädagoge am Deutschen SchauSpielHaus, Autor, Dramaturg und Mitglied des Leitungsteams TUSCH Hamburg