Politik/ Theater/ Schule

Gedanken zu dem Thema von Michael Müller  –  vorgestellt und diskutiert beim TUSCH-Partnertreffen am 27.11.2018 im Marmorsaal des Deutschen Schauspielhauses

„Dieses Deutschland ist nicht mehr meine Heimat!“ Das sagen in diesen Zeiten zunehmend mehr Deutsche. Ist unsere Republik mit ihren Errungenschaften und ihrem Wohlstand nur in der Außensicht und in den Augen derer, die sie bis in die 90ger Jahre entwickelt haben, bemerkenswert?

Scheinbar hat sich den Menschen in unserer plural ausgerichteten westlichen Gesellschaft seit den 60ger Jahren eine Fülle neuer Möglichkeiten aufgetan: „Wir können sein, wer immer wir sein wollen und tun, was immer wir auch im Rahmen des geltenden Rechts tun wollen, alle Ziele verfolgen, die uns allen offenstehen. Aber trifft dies wirklich zu? Viele (junge) Menschen können mit der Idee der Umwandlung von Pflicht in freie Wahl und Einschränkung in Freiheit gar nicht Schritt halten. Allein die Tatsache, dass sie ihre Identität nach Belieben formen können, bedeutet für sie oft eine große Herausforderung, für manche gar eine Belastung.“ Und steht es wirklich jedem Menschen frei, sich nach Belieben zu entfalten? Das fragen sich gerade auch benachteiligte Heranwachsende im Zuge einer zunehmenden sozialen Verschärfung unserer Gesellschaftsverhältnisse.

Die moderne Welt setzt offenbar bei den Jugendlichen (und nicht nur dort) bei aller Entfaltungs- und Informationsfreiheit nicht Selbstwert und Wissen, sondern Gefühle frei, vor allem das einer diffusen Wehr- und Machtlosigkeit gegenüber unbeeinflussbaren Faktoren, die wir glauben nicht steuern und durchschauen zu können. All das Undurchschaubare, Unsichere macht zunehmend Angst und „Angst ist ein gut zu manipulierendes Gut.“

Festzuhalten ist, dass der Halt suchende Jugendliche oft auf sich selbst gestellt sind und leichter auf Vorbilder trifft, die einleuchtende und prägnante Erklärungsmodelle liefern, für jedermann verständlich, aber nicht selten aus ihrer Vereinfachung heraus große Gefahren in sich bergend. Jugendliche glauben, es gebe statt der komplexen Welt eine Wahrheit, die viel einfacher sei. Sie finden sie vor allem zunehmend an den extremen Rändern unserer Gesellschaft, da diese ihre Werte offenbar immer weniger überzeugend übermitteln kann. Und Jugendliche finden die Netzwerke der Radikalen zunehmend und ungesteuert im Internet. Wo lässt sich Angst besser schüren als im Internet.

Dabei könnte man durchaus Debatten thematisieren, die jungen Leuten wichtig sind. Damit Menschen zuhören, müssen sie sich aber für wirkliche Inhalte zunächst einmal interessieren. Der politisch Handelnde muss also für seine Themen Empathie erzeugen und das durch gute Geschichten, die vor allem auch durch Theater und die Theaterarbeit an den Schulen erzählt werden.

(Theater-) Lehrer*innen sind überzeugend, wenn sie zeigen, wofür sie brennen und wo sie verletzbar sind. Schüler spüren es, wenn Lehrer eine menschliche Begegnung zulassen können, und sie brauchen diese Begegnungen. Warum sollte ich als Leiter*in überhaupt davon ausgehen, dass sich Schüler*innen für Protest und politische Bewegungen interessieren. Wie kann ich mein Thema auch zu ihrem Thema machen? Wie schaffe ich Erkenntnis ohne meine bereits gefestigte Meinung manipulativ einzusetzen? Ich kann keine Anweisungen zur Moral und „korrekten politischen Haltung“ geben.

Die Jugendlichen spüren natürlich, wo ihre Leitung politisch steht. Also muss ich mich eher fragen, wie ich mit dem Nichtwissen umgehen kann, wie kann ich politisch bilden und interessieren? Wie gebe ich Impulse, wenn viele Schüler*innen denken, ich habe eigentlich nichts zu sagen. Es verlangt viel von den Lehrer*innen, dieses Problem mit den Schüler*innen aufzuarbeiten, gegen starke Gefühle und schnelle Meinungen zu argumentieren und stattdessen ein vielschichtiges Bild zu zeichnen ist anstrengend. Spieleiter*innen müssen ein Laboratorium entwickeln, in dem Schüler*innen anfangen zu denken. Welche Struktur der Gruppe finde ich vor, wie entsteht Motivation, wie gehen wir mit der Kommunikation um. In welchen Rollen erforsche ich das zu behandelnde Thema, das politische „Subjekt“? Die Leiter*innen müssen mit den Spieler*innen gemeinsam herausfinden, in welcher Welt sich Schüler*innen wohlfühlen und wo sie „mit sich selber“ unterwegs sind – gerade auch beim Theater spielen. Sie müssen nicht ständig einer Meinung sein, aber es bewegt sich etwas gerade in den Momenten der Verunsicherung. Auch die Inkorrektheit der Arbeit mündet in eine Reflexion auf der Bühne. Es gilt Erfahrungen zu schaffen und die Jugendlichen mit ihrem Denken zu konfrontieren.

Die politische Theaterarbeit trifft meist auf Haltungen, die sich schon früh im Elternhaus oder in der Peergroup manifestiert haben. Natürlich verändert sich durch das Projekt nicht alles, verändern sich nicht (auch radikale) Sichtweisen von einem Tag auf den anderen. Die Echtheit der persönlichen Erfahrung lässt Jugendliche aber zunächst aktiv werden für etwas wo der Theaterprozess zur aktuellen Wirklichkeit wird.

Politisches Geschehen und persönliches Erleben prallen im Theaterprozess aufeinander und suchen nach Erklärungsräumen. Gerade Jugendliche orientieren sich, wollen sich zuordnen oder auch abgrenzen. Theater kann möglicherweise etwas „auflösen“. Im Idealfall gäbe es Leerstellen zu füllen, wo es keine Belege, keine Dokumente gibt, wo die (Schüler-) Recherche im Internet aufhört.

Aber wie sollen diese Leerstellen benannt und erkannt werden, wenn wir wie beschrieben in der Flut vermeintlicher Lückenfüller und undurchschaubaren Zusammenhänge geradezu untergehen?

Olga Flor schreibt in ihrem Buch: Politik der Emotionen:  „Man kann sich nicht ewig im Privaten breitmachen, so spannend ist die Sache wirklich nicht, die Lage der Welt rundum schreit nach Aktivwerdung, nach Mitwirkung, Beteiligung an allen Formen des auf andere Menschen Zugehens, des mühseligen kleinen Entgegenwirkens gegen all die Verletzungen, Verhärtungen, gegen die anwachsende Verzückung durch simplizistische Ideengebäude, durch Faschismen religiöser, monetärer und anderer Art, gegen die Ratlosigkeit angesichts all des globalisierten Elends, gegen die Abgrenzung.

Die Verbindung und die Sichtbarkeit der politischen Themen müssen von Theater und Schule stetig aufgespürt werden. Dafür sollte Theater Formate (er)finden, um über die Diskurse, die unsere Gesellschaft bewegen, zu berichten.

Dabei muss politisches Theater nicht immer einen didaktischen Anspruch haben. Es sollte uns vielmehr auf den Weg bringen, uns zum Denken anregen und durch ein neues Sehen und Verstehen der Welt, uns im Menschsein befördern.

 

Einige Gedanken basieren auf oder sind inspiriert durch die Ausführungen in :

  • Julia Ebner WUT, Theiss-Verlag, WGB Darmstadt, 2018
  • Olga Flor, Politik der Emotionen, Residenz Verlag, Wien 2018
  • sowie Notizen zum Vortrag von Uta Plate // Get up Stand up! beim SDL Kiel 2018

 

Foto: Cornelia von der Heydt