KÜNSTLERISCHES „ICH“ – KÜNSTLERISCHE PRAXIS
Theater und Schule – Gedanken zum künstlerischen Prozess im schulischen Raum mit dem Schwerpunkt Theater
von Julia Eplinius, Michael Müller, Celina Rahman
Wie sieht eigentlich optimale vermittelnde künstlerische Arbeit aus? Wie stark umrissen ist der Aktionsraum? Es gibt durchaus Unterschiede der künstlerischen Felder in schulischen oder außerschulischen Zusammenhängen. Bringen Sie als Künstler:in Ihr Konzept und auch Fördermittel mit oder werden Sie beauftragt? Im Berufsalltag haben Sie mit ständigen Rollenwechseln zu tun. Ein:e Künstler:in befindet sich in seinem:ihrem Selbstverständnis ständig in der Reibung zwischen Theater und Pädagogik.
Betrachten Sie also genau, wie frei die Gestaltungsräume sind. Künstler:innen müssen oft stärker pädagogisch einarbeiten, bevor das eigentliche Theater beginnen kann. Denn auch wenn wir uns gemeinsame Gestaltungsprozesse wünschen, ist die Realität oft eine andere: Da hilft ein Repertoire, wie Sie unbekannte Gruppen effizient zu einem Ergebnis führen können, denn viele „Auftraggeber:innen“ und auch die Gruppe selbst erwarten eine Aufführung bzw. ein „vorzeigbares Ergebnis“.
Wenn das Projekt nicht gelingt, ist der:die Künstler:in oft allein in der Verantwortung. Die Institution, in der es stattfindet, bewertet überwiegend die Zielerfüllung, da die künstlerische Arbeit sich nicht im luftleeren Raum bewegt. Die Partner:innen können nicht immer die mögliche Innovationskraft und die Stärken der Künstler:innen und ihrer Projekte wertschätzen. Oft fehlt einfach die Zeit sich richtig zu koordinieren und die Stärken der Partnerschaft auszuloten.
Der Anspruch, ständig innovativ zu denken, macht den künstlerischen Alltag nicht unbedingt einfacher. Dazu kommt der Blick in andere Sparten, in die der:die Künstler:in sich hineinbewegt (von Hause aus oder als Ziel der Arbeit). Aber was zählt ist PRAXIS, PRAXIS, PRAXIS. Die theoretische Idee kann sich nur bedingt über die Anwendung stülpen, wenn sie nicht gefestigt und intuitiv/bewusst anwendbar ist. Es stellt sich also die Frage: Was können Künstler:innen vorab tun, um sich klarer zu positionieren und ihr Anliegen und ihre Ziele darzustellen und in ihre Arbeitszusammenhänge einzuordnen?
Wenn wir Künstler:innen über ihr Selbstverständnis der Arbeit befragen, finden wir in ihren Aussagen mehrere Gedankenstränge. Häufig werden die Freiräume, Neudefinition, Offenheit im Denken, aktive Teilhabe und Selbstbestimmung genannt. Die Künstler:innen wünschen sich, Begegnung und Auseinandersetzung zu ermöglichen. Sie wollen Perspektivwechsel, Diskurs sowie Erfahrungs- und Wissenstransfer in ihren Projekten gewährleisten. Einem diversen und breit aufgestellten Teilnehmerfeld soll Zugang zur Kultur ermöglicht werden. Dabei möchten sie Verhaltensmuster aufbrechen, neue Räume schaffen, ergebnisoffen und unkonventionell auf Augenhöhe forschen. Die schöpferische Arbeit soll ermöglichen, Hierarchien abzubauen und Eigenverantwortung zu schaffen. Sie soll sich fragend auseinandersetzen mit sich selbst, mit den Lebensentwürfen anderer und mit gesellschaftlichen Strukturen. Sie schafft Strategien der Erkenntnis und des Handelns, besonders im Hinblick auf Missstände und Ungerechtigkeit.
Jede:r Leiter:in braucht diese Art von Denksystemen, innerhalb derer sie:er die Qualität ihrer:seiner Arbeit definiert. Sie:er muss bei der eigenen künstlerischen Praxis ansetzen und sollte sich selbst befragend einzuordnen wissen. Welchen Themen und wem geben Sie Raum? Auf welchem Level und mit welchen Zielsetzungen beginnen Sie? Die Kriterien können sich im Laufe der Zeit auf der Grundlage von Erfahrungen und dem Wandel von Umständen und Teilnehmer:innenstruktur wandeln, verfeinern und verändert werden. Sie:er ist quasi ein sich immer im Prozess befindendes „Multiwesen“ mit vielen Lebensarmen und -beinen.
Künstlerische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist in ihren Methoden und Ansätzen immer auch ein sozialer und politischer Auftrag. Dies ist Chance und Gefahr zugleich. Gerade deshalb sollten Sie sich zur Aufgabe machen, Ihre Ambitionen genauestens für sich zu formulieren. Inwieweit und in welcher Form bringen Sie Ihre Erkenntnisse und Erfahrungen in ein Projekt ein? Prüfen Sie also kritisch, ob Sie Aspekte von Ihrer persönlichen Lebenssicht unbewusst und unkontrolliert einbringen. Seien Sie wachsam, wenn die reine Weltverbesserung die originäre Kunst zu überlagern droht.
Künstlerische Prozesse haben schon per se ihre ganz eigene Wirkung und Qualität, wenn auch nicht als „Arts for Arts Sake“. Die Künstler:innen befinden sich mit den Projektteilnehmer:innen im optimalen Fall auf einer gemeinsamen Suche. Sie ermutigen, stellen bereit, stellen sich zur Verfügung, sind aber trotzdem sichtbar, fördern, stärken Kompetenzen. Denn was gibt es Schöneres, wenn Theater interveniert, erschüttert, aufmerksam macht, die Welt verändert, Grenzen überschreitet. Theater ist und bleibt einfach einzigartig.
Foto: Kirsten Haarmann