Die Redaktion veröffentlicht hier einen Theatertext, von dem sich der Autor Stefan Valdes Tittel, TUSCH-Beauftragter der Stadtteilschule Niendorf, nicht sicher war, ob er für den Newsletter geeignet schien. Zu Beginn der Schulschließungen hatte er den Schüler:innen in Anlehnung an Arbeiten aus dem Theaterbereich ein kollaboratives Schreibtool vorgestellt, auf dem sie ihre Gedanken zu Corona hätten aufschreiben können. Hier hätten Corona-Monologe entstehen können. Die Schüler:innen haben dieses Angebot jedoch leider nicht wahrgenommen. Obwohl der Autor sich erhofft, im kommenden Schuljahr kein Stück zu sehen, das Corona thematisiert, erscheint der Redaktion die Monologszene doch als Motivation für andere Schüler:innen und auch für weitere Lehrkräfte geeignet, die letzten Monate kreativ im Theaterunterricht zu verarbeiten.

Szene 1

Ein Lehrer, irgendwo in Deutschland, aber wahrscheinlich in Hamburg, sitzt zu Hause und kippelt unruhig 5 Minuten auf seinem Stuhl herum. Dabei fällt er regelmäßig vom Stuhl, steht wieder auf, setzt sich und macht weiter. Er beschließt in sein Wohnzimmer zu gehen, sammelt alle Stühle ein, die er bei sich im Haus finden kann, stellt sie in einen Kreis und bestückt sie mit diversen Objekten (da eine kleine Büste von Karl Marx, hier ein Steiff-Bär, dort ein lebensgroßer Aufsteller von Elfriede Jelinek usw.). Er geht aus der Tür. Er schließt die Tür. Er öffnet die Tür … und Auftritt.

Guten Morgen, liebe Schüler*innen! Ja, man kann das Gender-Sternchen auch mitsprechen. Das erkläre ich euch aber später noch mal … Nein! Nein! Nein! … Das fühlt sich einfach nicht richtig an. Wie oft habe ich davon geträumt, keine Kinder vor mir sitzen zu haben, die immer nur etwas wollen? Sie wollen Arbeitsblätter, sie wollen Aufgaben, sie wollen ihre Ruhe haben, sie wollen nicht in der Schule sein müssen, sie wollen an ihrem Handy spielen dürfen, sie wollen Freunde treffen und sich mit ihnen austauschen, sie wollen meine Aufmerksamkeit, sie wollen meine Energie, sie wollen Fachwissen, sie wollen nicht gelangweilt werden, sie wollen Spaß, sie wollen, dass man gut aussieht, sie wollen bessere Noten, sie wollen ernst genommen werden, sie wollen erwachsen behandelt werden, ohne wirklich Erwachsen sein zu müssen. Nie werde ich gefragt, was ich eigentlich will! … Aber was ist es denn, was ich will? … Ich will eigentlich in der Schule sein und vor, neben, hinter – wo auch immer – den Schüler*innen stehen und sie belehren, nein, nicht belehren, lehren, oder viel mehr leeren. Die Leeren füllen. Die Lehren daraus ziehen, was in der Welt schiefläuft, das scheint mir eine sinnvolle Aufgabe. Die Fehler der Welt lehren, aus ihnen lernen und sie nicht wiederholen. Aber dann wird schon wieder diese Fehlerkultur fokussiert, die wir so gut pflegen. Vielleicht sollten wir nicht immer auf die Fehler schauen. Denn Fehler sind im Endeffekt ja etwas sehr Gutes. Man sagt immer: Aus Fehlern lernen. Geht das überhaupt? Lehren ohne Fehler? Lernen ohne Fehler? Jetzt haben sich diese Fehler schon wieder unbemerkt eingeschlichen. Fehler fehlen also immer. Wenn alle Schüler*innen fehlerfrei wären, wäre dann nicht auch mein Beruf sinnlos? Wozu bräuchte man dann noch Lehrer*innen? … Na, mir würden da noch ein, zwei Sachen einfallen. Dir nicht auch Carlitos?