Ruth Zimmer koordiniert die TUSCH Werkstatt

Ruth Zimmer ist Kulturagentin, Dramaturgin, Theater- und Kulturwissenschaftlerin. Als TUSCH Werkstatt Programmkoordinatorin will sie Projekte immer konsequenter von Schüler*innen konzipieren lassen und damit Schulräume und Unterricht empfindlich verändern.

Ist TUSCH Werkstatt der richtige Name für das Programm?

Nein. (lacht) Unser Arbeitsbereich ändert sich mit den Bedarfen der Partner*innenschaften. Die Zusammenarbeit leichtgängig zu machen, das ist unser Fokus. Es ist unterschiedlich, welche Expertise oder welche Kennerschaft und Erfahrung die Partner*innen haben. Jetzt ist es gerade so, dass wir bei zwei Partner*innenschaften am Anfang stehen und wir das klassische Problem der Systeme erkennen. Die Strukturen von Theater und Schule funktionieren anders und auch die Personen in den Strukturen funktionieren anders, zum Beispiel in der Kommunikation.

Zu Beginn hatten wir grundsätzlich vier Schwerpunktthemen festgestellt, zunächst die Ideenfindungs- und Konzeptionsphase, das Knirschen im Prozess und der Austausch darüber, die Präsentation sowie das Sichtbarmachen und Bewerben.

Jetzt stellen wir fest, dass wir eher in der Coaching- und Beratungsphasen landen. Und das ist eine individuellere Betreuung. Daher passt der Titel vielleicht doch im Moment ganz gut.

Es geht darum herauszufinden: An welcher Stelle seid ihr? Wo wollt ihr idealerweise hinkommen? Und wie kann dies erreicht werden?

 

Du stellst dich immer wieder auf neue Leute, neue Probleme ein, wie gelingt das?

Ich hole weiter aus: Die Kulturagent*innen wurden vor elf Jahren eingestellt. Die Bundeskulturstiftung und die Mercator-Stiftung hatten gemeinsam dieses große Kulturprogramm gestartet und leisteten die Anschubfinanzierung. Nach einer Transferphase boten sie den beteiligten Ländern an, das Programm zu übernehmen – unter der Bedingung, es auch voll zu finanzieren. Hamburg hat dieses Programm verstetigt. Wir sind damals vom Landesbüro gecastet worden, jede*r einzelne*r von uns hat einen anderen künstlerischen Background und daher ein Netzwerk von Menschen, mit denen wir schon kooperiert haben. Diese Netzwerke der Filmer*innen, Kunsthistoriker*innen, Theaterpädagog*innen, bildenden Künstler*innen, Grafiker*innen, Kurator*innen, … konnten wir zusammenfassen und das ist der Pool, aus dem wir die Künstler*innen passgenau für die Schulen auswählen. Wir sind in allen künstlerischen Genres routiniert und denken interdisziplinär, schließen auch gleich digitalen Formate ein. So gelingt die Zusammenarbeit mit ganz unterschiedlichen Partner*innen.

 

Hast du den Eindruck die Genregrenzen lösen sich auf?

Für die Schüler*innen würde ich das nicht behaupten wollen, sie haben oft tradierte klassische Theatervorstellungen im Kopf. Alle Schüler*innen wollen immer erst ein „Stück machen“, mit Textgrundlage zum Auswendiglernen. Was vollkommen an der Lebenswelt vorbeigeht und den künstlerischen Ausdruck in nur wenigen Facetten entwickelt.

Daher gehen alle Vermittler*innen erst einmal von der Lebenswelt der Schüler*innen aus und gucken, welche Skills bringen sie mit, wie lassen die sich einbinden und fördern? So wird es für die Schüler*innen leichter anzudocken. Hier sind sie Expert*innen und können sich ausdrücken.

Künstlerische Projektarbeit ist eigentlich eine Folie, auf der die Schüler*innen die Möglichkeit haben eigene Geschichten zu erzählen. Wonach sehnst du dich? Wonach suchst du? Die Schüler*innen entwickeln die Themen und Texte selber.

Aber die Kulturagent*innen führen nicht die Projektarbeit mit den Jugendlichen durch. Wir, im Dreierteam mit Julia Münz und Eva Maria Stüting, zeigen nur Wege auf. Ganz entspannt denken wir mit den Vertreter*innen beider Systeme, Theater und Schule, in einem moderierten Prozess nach: An welcher Stelle fangen wir an und was ist noch leistbar? Wir können leicht einschätzen: Was ist machbar? Woran haben alle Freude? Wie sieht es gut aus? Wie lässt es sich im Kollegium gut vermitteln? Das ist Teil unserer Arbeit als Kulturagent*innen.

 

Begleitet ihr den gesamten Prozess?

Ja, wir sind die drei Jahre der TUSCH Partner*innenschaft dabei. Durch die Begleitung des Anfangs gibt es einen Unterschied zu den früheren TUSCH Werkstätten. Die Kulturagent*innen setzen zwar nichts aufs Gleis, das können die Partner*innen selbst, wir sind eher die Leitplanke. Den Prozess begleiten wir, aber übernehmen nicht die künstlerische Arbeit. Die künstlerische Expertise liegt bei den Theatern und in den Teams.

 

Hast du den Eindruck Theater und Schule verändern sich gegenseitig in diesem Prozess?

Ich glaube, dass Theater flexibler in ihren Angeboten werden müssen, allein zeitlich und räumlich. Ein klassisches Jugendclub-Format ist in diesen TUSCH Partner*innenschaften nicht möglich. Die Theater, die häufiger die TUSCH Partner*innenschaften eingehen, sind aber unglaublich routiniert in dem Switch von einer Schule zur nächsten.

Wir begleiten in unserer „Werkstatt“ Partner*innenschaften, in denen die Schulen zum ersten Mal in dieser Form mit einem Theater kooperieren. Eine Schule hat jetzt einen jahrgangsübergreifenden Neigungskurs als zusätzliches Angebot eingerichtet, um den Schüler*innen eine freiwillige Wahl des Fachs Theater zu ermöglichen. Das zu organisieren war ein großer Schritt für die Schule. Super, jetzt gibt es eine Talentförderung für Kinder, die hier neue förderliche Lernimpulse bekommen und sich auf der Bühne ausdrücken können!

Nach dieser Pilotphase würden wir gerne unterstützen, dass der Kurs ins zweite und dritte Jahr weitergeht und eine Routine entsteht: Ältere Schüler*innen gehen hinaus und neue kommen hinzu. Die alten, verbleibenden Häsinnen nehmen die jungen an die Hand und coachen sich quasi selbst, lernen voneinander.

 

Nach den drei Jahren TUSCH Partner*innenschaft soll Theater in der Schulkultur verankert sein. Was ist für eine solche Nachhaltigkeit erforderlich?

Innerhalb der drei Jahre ist es möglich, das Wissen für eine Theaterkultur zu erwerben und die Strukturen zu schaffen.  Auch die Präsentationformate lassen sich in diesem Zeitraum etablieren. Trotzdem wird noch notwendig sein, externe Kräfte hinzuzuholen. Die Kolleg*innen in der Schule können aber mit Unterstützung lernen, wie sie Fundraising für Projektarbeit betreiben. Auf diese Weise können externe Künstler*innen mit den Projektgeldern bezahlt werden oder die frei verwalteten Schulen können aus ihrem Budget eine*n Theaterlehrer*in einstellen.

Es braucht für Theater als Fach Unterstützung, personell und finanziell und in den Köpfen: Theater ist kein Fach, das die Schulleitungen beiseitelassen können. Das Fach gehört in den Unterrichtskanon. Die Ausstattung, das Personal und die Zeiten sind wichtig. Es gibt neben TUSCH Programme wie FLEX & Co., auch die BürgerStiftung Hamburg und andere Stiftungen unterstützen Theaterformate an Schulen. Es gibt die lustige Erfindung der Theaterpat*innen: Ehrenamtliche begleiten Schüler*innen in Vorstellungen. An manchen Stellen wirkt das Fach Theater wie ein Bonbon, etwas Zusätzliches, das erst kommt, wenn alles andere geregelt ist. Da werden die Möglichkeiten und das Entwicklungspotential des Theaterunterrichts nicht erkannt, auch in der Sprachförderung, im kreativen Schreiben, sozialen Lernen, Kooperation, Prozesse aushalten, …

Foto: Julia Muhs