Im Gedenken an Christiane Richers (1955 – 2022)

Mit großer Bestürzung hat das TUSCH-Team die Nachricht vom Tod von Christiane Richers aufgenommen.

Christiane war Autorin, Theaterregisseurin, Mitbegründerin und künstlerische Leiterin des Theaters am Strom (TAS), das als mobiles freies Theater für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Hamburg produziert.

Seit 2006 war das TAS Mitglied der TUSCH-Familie und lange Zeit das einzige freie Theater ohne feste Spielstätte. Erst 2013 hat es sich dann im neuen Bildungszentrum „Tor zur Welt“ in Wilhelmsburg einen festen Stützpunkt mit einem eigenen Probenraum und Büro sichern können. TAT ist seitdem dauerhaft in die Gesamtorganisation aller schulischen und nichtschulischen Institutionen im „Tor zur Welt“ eingebunden. Diese Konstruktion ist einzigartig und verdankte sich dem beharrlichen Engagement vor allem von Christiane Richers, die das Konzept der Stadtteilverortung mit Unterstützung der damaligen Kultursenatorin Karin v. Welck entwickelte und vorantrieb. Es gibt nichts Vergleichbares in Hamburg und vielleicht auch nicht anderswo in Deutschland. Im Rahmen der TUSCH-Mitgliedschaft hat TAT beispielhafte Kooeperationsprojekte mit verschiedenen Schulen realisiert, vornehmlich mit Grundschulen, und dabei Schülerschaft, Kollegium und Elternschaft künstlerisch herausgefordert und mobilisiert.

Für Christiane Richers war der Stadtteil Wilhelmsburg künstlerische Heimat. Die Keimzelle ihrer spezifischen Freundschaft mit Wilhelmsburg war das Thema ›Auswanderung‹. Hinzu kam die Vernetzung mit der ›Honigfabrik‹ und dem ›Bürgerhaus‹ im Stadtteil. Wilhelmsburg empfand sie als eine Insel, die die Konzentration fördert. Biografisches Erzähltheater war dabei ihre dramaturgische wie künstlerische Form. Die TAS-Stücke handeln von stadtteilspezifischen Themen Hamburgs, haben das Ziel, Stadtgeschichte ins Bewusstsein zu rufen und sich politisch einzumischen. Die Theatertexte von Christiane wie ›Esther‹, ›Spiel Zigeunistan‹ (produziert vom Thalia Theater), ›IMMER WEITER‹,  ›Im Herzen von Hamburg‹ und ›Rosa begegnen‹ (Produktionen des TAS) waren dafür Belege – und sind es  teilweise noc .

Christiane interessierte sich insbesondere für Randgruppen in ihrer Arbeit. Es ging ihr dabei um eine Sensibilisierung der Wahrnehmung bei jungen Zuschauern in Bezug auf gesellschaftliche Konfliktthemen. In einem Interview für den TUSCH-Newsletter sagte sie: „Wenn man sich mit Randgruppen analytisch auseinandersetzt, erfährt man viel über die Mehrheitsgesellschaft. Das Wechselverhältnis ist von Interesse. Ich wurde geprägt durch die Lektüre zur Theorie über Gesellschaft und Politik (Stichwort: ›Richard Sennett‹).“

Über ihre TUSCH-Erfahrungen sagte sie: „TUSCH hat den Rahmen der Möglichkeiten in die Breite erweitert. Bei aller Anstrengung ist die Vernetzung ein wichtiger Vorteil bei gemeinsamen Treffen, der Austausch mit den anderen Theatern, dass man mitbekommt, wie bei anderen die TUSCHkonstrukte geartet sind, z.B. hinsichtlich der Präsentationsformate. Spezifisch auf Theater und Schule bezogen, ist dieser Raum des Austausches sehr hilfreich. Die Flexibilität von TUSCH in Bezug auf die Künstler sollte auf jeden Fall beibehalten bleiben, auch wenn das Verhältnis immer wieder neu durchdacht, neu definiert werden muss, denn der Kreis derjenigen, die TUSCH machen, erneuert sich ja auch. Dies scheint mir bereits eine Qualitätsbeschreibung von TUSCH zu sein: die stetige Selbstreflexivität.“

Für TUSCH war sie die ideale Botschafterin, weil sie das Credo von TUSCH in ihrer Praxis sehr klar verkörperte. Sie begriff das Verhältnis zwischen Theaterlehrern und Theatermachern als einen idealen Lernvorgang, sich von draußen Expertenwissen zu holen. Dadurch bildete sich ihrer Meinung etwas Komplexes heraus – auf der Grundlage eines echten Dialoges zwischen innen und draußen. Die Rolle des Lehrers läge in der Eigenschaft der Vermittlung, nämlich den Kontakt zur Alltagswelt der Gesellschaft herzustellen. Lehrer könnten nicht alles selbst vermitteln. Sie könnten über die Vermittlung der Grundkompetenzen aber Initiatoren, Brückenbauer sein.

Ihre Grundhaltung in der Theaterarbeit mit Kindern und Jugendlichen war, immer im Moment zu sein und mit dem zu arbeiten, was sie mitbrachten. Durch diese Haltung,  gepaart mit einer großen Verbindlichkeit, gelang es ihr in besonderer Weise, die jungen Menschen zu erreichen, herauszufordern und ihre Stärken auf der Bühne sichtbar werden zu lassen.

Wir vermissen Christiane als einen klugen kreativen Kopf, klar in der Sache und immer von Herzen den Menschen zugewandt, mit denen sie die Welt durch Theater verändern und lebenswerter machen wollte.

(Cornelia von der Heydt, Julia Eplinius, Gunter Mieruch, Michael Müller, Stefan Valdes Tittel)

Bild mit Text: Andreas Schwarz