KOST Sachsen und TUSCH Hamburg treffen sich am Fluss – ein genialer Supermoment

Ein Telefonat im letzten Herbst war der Beginn einer gedanklichen Wanderung entlang der Elbe zur gemeinsamen Zusammenarbeit von KOST (Kooperation Schule und Theater) und TUSCH Hamburg. Beide Programme sind Teil des bundesweiten Netzwerks von TUSCH, FLUX Hessen, Lanze Sachsen-Anhalt und KOST Sachsen. Einmal im Jahr kommen alle Programmleitungen zusammen, um aktuelle Themen zu teilen, Unterstützung zu erfahren und Herausforderungen zu besprechen. In diesem Rahmen ist im letzten Jahr der Funke übergesprungen, und wir haben sehr entschlossen zugepackt, als wir uns für ein digitales, länderübergreifendes Begegnungsformat entschieden haben. Unser Anliegen: Wir machen mit unseren großen Netzwerken die Lebenswelten der beteiligten, engagierten Menschen sichtbar und regen das Verständnis im Rahmen der gemeinsamen Kooperationsarbeit füreinander an. Auf der Plattform wonder.me und unter moderierender Anleitung von Alescha Abendroth haben wir das Partnertreffen am 24. Februar 2021 als Hamburger Gastgeber initiiert, und entstanden sind Kosmen, die von Expert:innen aus Behörde, Künstler:innen und Schule belebt wurden. Im Folgenden teilen wir Fragen, Haltung und Ideen der Teilnehmer:innen, die völlig unabhängig von ihrer Rolle einen Kosmos besuchen konnten.

// Kosmos Behörde

Die größten Herausforderungen sehen die Teilnehmer:innen darin, wie unter den aktuellen Bedingungen, unter Einhaltung der Coronaregeln, kooperative Projekte realisiert werden können. Sei es, dass sie endlich starten oder fortgesetzt werden können. Kontakte zwischen Theatern/ Künstler:innen und Schulen/Lehrkräften zu halten, gestaltet(e) sich schwierig. Die Nutzung digitaler Medien geschieht noch sehr verlangsamt, sowohl in den Schulen als auch in den Theatern. Hindernisse bilden auch die sehr unterschiedliche technische Ausstattung der Kinder und Jugendlichen zu Hause bzw. die generelle Erreichbarkeit von Schüler:innen vor allem jüngerer Altersgruppen. Auf der anderen Seite sieht man eine große Chance in digitalen Formaten oder zukünftigen Hybridveranstaltungen. Hier müssten allerdings verstärkt neue/andere künstlerische Strategien im Verhältnis zur bisherigen analogen Arbeit entwickelt werden.

//Kosmos Künstler:innen

Im Kosmos der Künstler:innen wurde sehr intensiv und provokativ die Frage  „Wozu Theater?“ diskutiert. Theater sollte kein Selbstzweck sein. Theater ändert sich, muss sich ändern, wenn sich Gesellschaft ändert: „Warum sollte jemand kommen und sich ein Theaterstück anschauen?“ oder „Warum sollte jemand Lust haben, hier mitzuspielen?“ Diese Fragen sollten immer wieder in den Blick genommen werden. Theaterpädagog:innen und Künstler:innen werden von den vielen neuen Erfahrungshorizonten motiviert, den die Beteiligten auch in ihrer eigenen Arbeit immer wieder erhalten. Der Perspektivwechsel spielt dabei eine wesentliche Rolle, das Erkunden, wie es noch sein könnte. Und natürlich die „krasse Euphorie“, die man ja auch selbst hat, wenn man auftritt. Warum könnte es die Zuschauer:innen interessieren, aber auch, warum könnte es die Jugendlichen interessieren, was sie hier machen? Motivierend ist in jedem Fall die Beobachtung, dass es für die Jugendlichen richtig gut ist, die Dinge selber zu tun und nicht etwas Vorgefertigtes nachzuspielen.

In der Zusammenarbeit mit Schüler:innen ist es besonders stärkend, wenn der Prozess in Gang kommt, dass Schüler:innen über sich hinauswachsen, Grenzen überschreiten und sich nicht an Regeln halten, sondern aus der Reihe tanzen. Es ist ein besonderer Moment, wenn sich die Schüler:innen frei machen können, sich lösen von zu starren Vorgaben. Genauso spannend ist es, wie sie in der Projektarbeit auf ein Ziel hinarbeiten, selbst kreative Lösungen finden und damit ihre eigenen Wünsche umsetzen.

Die Wahrnehmung, dass man selber für etwas brennen muss, um Schüler:innen mitzunehmen und das zu übertragen und die Begeisterung weiterzugeben. Dem künstlerischen Tun mehr Raum als dem Theaterpädagogischen geben. Theater bietet die Möglichkeit die unterschiedlichsten Bedarfe zu nutzen, um etwas sehr Schönes entstehen zu lassen. Ein Motor ist: einen Gegenpunkt zu schaffen zu den von den Kindern und Jugendlichen wahrgenommenen Strategien, als Gegenpunkt zu dem Bekannten.

Die Frage nach dem Flow mit Jugendlichen bringt die Teilnehmer:innen dazu, über zwei Perspektiven nachzudenken:
Wie schaffen wir ein Vertrauen in der Zusammenarbeit mit der Schule?
Was braucht die Schule gerade? Und: Was machen wir am Theater, welche ästhetischen Fragen und Diskurse diskutieren und führen wir dort, die auch für Schule interessant sein können? Welche Projekte sind für eine Zusammenarbeit spannend?

Wie hat sich die Qualität jetzt durch das Digitale verändert?
Sie hat sich verändert, weil wir uns alle neu darauf einstellen müssen. Es entsteht dadurch oft eine Schwere in den Anfängen der Projekte. Doch die Digitalität bietet andererseits auch die Möglichkeit neue ästhetische Räume zu erkunden – jenseits von Zoom und Streaming (z.B. gestaltet eine Lehrerin einer TUSCH Schule jetzt gemeinsam mit den Schüler:innen einen Theater-Chat). Außerdem ist es spannend, wenn die Schüler:innen nun bei den digitalen Proben zu Hause sind und ihre Privatsphäre einbringen, wie Gegenstände oder Haustiere, die sonst nicht in den Theaterproben auftauchen würden. Das erzeugt eine sehr intime Qualität.
Das Teilen und Sich-Begegnen in biografischen Aspekten erzeugt in Gruppen etwas Neues und die Challenge ist es aktuell, daraus ein ästhetisches Erlebnis zu machen. Als hilfreich wird empfunden, auf eine Form von Präsentation hinzuarbeiten, auch wenn diese „nur“ digital stattfindet. Das ist für die Jugendlichen eine große Motivation, in die Zusammenarbeit zu kommen.

// Kosmos Schule I + II

Die Bandbreite der Situation von Kooperationen an Schule wird in den beiden Kosmen Schule I und II sehr divers beschrieben – von „Es darf nichts stattfinden“ bis hin zu „Wir versuchen alles, was geht“. Besonders herausfordernd ist es in den KOST/TUSCH Kooperationen, wo Schulprojekte komplett still stehen, und die Akteur:innen gleichzeitig die Motivation nicht verlieren wollen, neue Ideen zu denken. Analog angedachte Inszenierungen im alten Schuljahr konnten zum Teil nicht zu Ende geführt werden, weil sie nicht ins Digitale übersetzbar sind und nicht mit geltenden Hygiene-Bestimmungen und Klassentrennungen zu vereinbaren waren.
Gleichzeitig werden die Impulse von außen in der Pandemiezeit als noch wichtiger empfunden. Die künstlerische Arbeit hilft, den sozialen Klassenzusammenhalt und das Miteinander nach dem langen Lockdown mit dem Fernunterricht wieder herzustellen und, wenn analoge Theaterarbeit wieder möglich ist, das lange Zu-Hause-Sein und Nur-am-Rechner-Sitzen mit dem Fokus auf Körperarbeit und Bewegung zu kompensieren. Es gibt den Gedanken, dass die Künstler:innen sich dazu aufgefordert fühlen sollten, die Lehrer:innen (auch über die konkrete Kooperationsarbeit hinaus) im Schulalltag zu unterstützen, z.B. in Form eines „Korbs mit Blumen“ (kleinen Übungen für den analogen und digitalen Schulalltag in Pandemiezeiten).

Dass sich der digitale Raum als neuer, kreativer und ästhetischer Raum auftut, braucht Zeit im Erschließen und um mit ihm „warm zu werden“. Das betrifft nicht nur die erwachsenen Akteur:innen, auch bei den Schüler:innen wird immer wieder eine Scheu beobachtet, sich vor der Kamera zu zeigen und vor der Kamera zu spielen. Der Umgang mit Veränderung fördert nicht nur Neues, sondern räumt gleichzeitig auch Zeit ein, um nach kreativen Lösungswegen zu suchen. Der wahrhaftige Austausch und das echte Erleben können zwar nicht ersetzt werden, aber es werden auch Formen des digitalen Arbeitens entdeckt, die sich umgekehrt nicht ins Analoge übersetzen lassen (Chatfunktion, Livestreaming) und die Möglichkeiten bieten, auch während der Schulschließungen gemeinsam künstlerisch zu arbeiten (etwa mit Übungsreihen für die Schüler:innen als kleine Video-Tutorials, die die Künstler:innen über digitale Lernplattformen zur Verfügung stellen. Es wird eine Ermutigung ausgesprochen, die Schüler:innen direkt nach ihren Wünschen/Bedürfnissen zu befragen: Wie kann man digital gut in Kontakt bleiben? Wie kann man digital miteinander künstlerisch arbeiten?
Eine große Hürde stellt dabei die Ausstattung dar. Behörde, Schule und Theater waren und sind in Teilen nicht ausreichend ausgestattet, um eine netzwerkweite, verlässliche digitale Kommunikation mit den Schüler:innen, Lehrer:innen und Künstler:innen zu ermöglichen. Die Lehrer:innen sprachen sich an dieser Stelle für das Nutzen von analogen „Wohlfühlformaten“ als gute Alternative aus. Das können zum Beispiel Handlungsanweisungen für eine:n Mitschüler:in sein, wie er oder sie sich in einen Wohlfühlmoment begibt (per Brief oder Postkarte), die dann als künstlerisches Ergebnis fotografisch festgehalten werden.

Am Ende steht die Erkenntnis, dass dort, wo sich bereits Beziehungen in Kooperationen in persönlicher Form entwickeln und wachsen konnten, auch temporäre Lösungen in der digitalen Kommunikation und Zusammenarbeit gut funktionieren.

Hier geht’s zur Kosmen Galerie von Julia Münz: https://www.picdrop.com/juliamuenz/4vgraw2aXR

Der Bericht ist mit der freundlichen und engagierten Unterstützung von Stefan Valdes Tittel, Gunter Mieruch, Frieda Pirnbaum und Cornelia von der Heydt entstanden, die die Kosmen während des Partnertreffens mit Stift, Kopf und Herz am 24.2.2021 begleitet haben.

Vielen Dank für die inspirierende und wertschätzende Zusammenarbeit mit Nicole Aurich (Leitung KOST Sachsen) und allen Expert:innen für das Teilen ihrer Lebenswelt.

Frieda Pirnbaum / Celina Rahman

Zeichnungen: Julia Münz